Dr. Marc Esser, Dr. Alexander Boreham (veröffentlicht in Market Access & Health Policy 2017; 7(3): 28-29)
Ärztliche Meinungsbildner im AMNOG
Im AMNOG-Prozess ist die Zusammenarbeit mit ärztlichen Meinungsbildnern unerlässlich. Wir erklären, worauf es ankommt.
Zusammenarbeit in verschiedenen AMNOG-Phasen
Im AMNOG-Prozess gibt es mehrere kritische Punkte, bei denen der Sachverstand ärztlicher Meinungsbildner von großer Bedeutung für das beteiligte Unternehmen ist. Bereits bei der frühen Beratung durch den G-BA kann es sich anbieten, einen ärztlichen Meinungsbildner in die Erarbeitung der Beratungsanforderung mit einzubeziehen. Hingegen erscheint die Teilnahme am sich anschließenden Beratungsgespräch eher verzichtbar. Erfahrungsgemäß sind die Antworten in der frühen Beratung durch den G-BA oft formelhaft und nur selten entwickelt sich ein tieferer Austausch zwischen Firmenvertretern und G-BA, so dass sich ein ärztlicher Meinungsbildner hier nicht optimal einbringen kann. Nach der frühen Beratung wird die Dossierstrategie erarbeitet. Hier ist die Meinung des Experten unabdingbar. Auch vor der Dossiereinreichung ist es von großem Vorteil, das Dossier dem ärztlichen Meinungsbildner noch einmal vorzulegen und sich Feedback geben zu lassen.
Auswahl der ärztlichen Experten
In vielen Unternehmen arbeiten Mediziner z.B. als Medical Advisor oder Medical Director. Trotzdem hat ein erfahrener Arzt, der in der Indikation tagtäglich Patienten behandelt, hier noch mal einen anderen Zugang und kann wertvolle ergänzende Informationen liefern. Insofern sollte diese Expertise auf jeden Fall hinzugezogen werden, z.B. wenn über die ZVT diskutiert wird, über die Patientenrelevanz der Endpunkte und darüber, ob die Studienpopulation der Patientenpopulation entspricht, für die ein Zusatznutzen gezeigt werden soll. Ideal ist es natürlich, wenn ein solcher klinischer Experte bereits erste Erfahrungen mit dem zu bewertenden Arzneimittel hat. Prinzipiell bietet es sich an, den Leiter der klinischen Studie (Principal Investigator) auch als externen Experten für den AMNOG-Prozess anzufragen. Im AMNOG sind allerdings auch Kenntnisse der Versorgungssituation im nationalen Kontext wichtig. Suchen Sie einen ärztlichen Meinungsbildner, der im Idealfall gut vernetzt ist und viele andere Experten persönlich kennt, Mitglied in relevanten Fachgesellschaften und Autor wichtiger Leitlinien ist. Man sollte es nicht versäumen, der zuständigen Fachgesellschaft das Dossier zu übersenden, damit diese sich rechtzeitig damit beschäftigen kann. So beträgt die Frist zur schriftlichen Stellungnahme drei Wochen und zwei bis drei Wochen später erfolgt schon die mündliche Anhörung. Insofern sollte die zuständige Fachgesellschaft, die in der Anhörung ein wichtiger Fürsprecher sein kann, frühzeitig das Dossier bekommen, sowie die Nutzenbewertung und die Stellungnahme.
Abbildung 1: Auswahlkriterien
Eminenzbasierte Medizin kann Evidenz nicht ersetzen
Wichtig ist, dass Firmen den Stellenwert von Expertenmeinungen im AMNOG-Prozess realistisch einschätzen. Während der Rat der ärztlichen Experten bei der Dossierstrategie und ihre Teilnahme bei der Anhörung sicher von großer Bedeutung sind, so kann die Expertenmeinung natürlich keine Evidenz ersetzen. Spricht man mit Vertretern von G-BA und IQWiG, hört man oft die Ansicht, dass die Meinung ärztlicher Experten keinen sehr hohen Stellenwert in der Nutzenbewertung besitzt, da sie als subjektiv und beeinflussbar gilt (»eminenzbasierte Medizin«). Insofern kann ein Experte zwar nicht die Evidenz ersetzen, aber bei deren Interpretation und Einordnung in einen klinischen Kontext trotzdem sehr hilfreich sein. Gerade wenn es darum geht, verständlich zu machen, wie ein neues Arzneimittel die Versorgungssituation von Patienten konkret verbessern kann, hat das Wort von ärztlichen Meinungsbildnern mit klinisch-praktischer Erfahrung immer noch Gewicht.
Win-Win-Situation für die Zusammenarbeit schaffen
Ärztliche Meinungsbildner und Industrie haben durchaus gemeinsame Interessen: Für die Ärzte geht es vor allem darum, neue therapeutische Optionen für die Behandlung ihrer Patienten zu bekommen, Arzneimittel besser einzusetzen und die Adhärenz ihrer Patienten zu steigern. Diese Interessen decken sich mit denen der Industrie (Abbildung 2). Wichtig ist, dass man als Unternehmen bei der Kooperation mit den ärztlichen Meinungsbildnern vor allem diese gemeinsamen Interessen in den Vordergrund stellen sollte und nicht die kommerziellen Unternehmensziele.
Abbildung 2: Gemeinsame Interessen von Ärzten und Industrie
Kontaktaufnahme
Idealerweise gibt es bereits etablierte Kontakte, z.B. über die medizinische Abteilung Ihres Unternehmens, die sich nutzen lassen. Falls nicht, sollten Sie sich beispielsweise über das Chefarztsekretariat einen offiziellen Termin geben lassen. Bringen Sie dem ärztlichen Meinungsbildner Wertschätzung entgegen, indem die Leitungsebene Ihres Unternehmens zumindest beim ersten Treffen beteiligt wird. Eine gute Gelegenheit, mit Ärzten ins Gespräch zu kommen sind auch Veranstaltungen und Kongresse. Bitte beachten Sie, dass die meisten Ärzte auf solchen Veranstaltungen eine straffe Agenda abarbeiten müssen und man deshalb keine langen Gesprächszeiten erwarten darf. Für eine erste persönliche Kontaktaufnahme ist es dennoch eine gute Gelegenheit.
Advisory Board Meetings
Wenn man mehrere Experten in den Market Access Prozess einbinden will, empfiehlt es sich, ein Advisory Board Meeting zu veranstalten. Häufig finden solche Meetings ohnehin in der Prä-Launch-Phase statt und werden in der Regel von der medizinischen Abteilung organisiert. Hier können Sie sich als Market Access Verantwortlicher einfach »dranhängen«. Eine gute Vorbereitung ist alles: Formulieren Sie die für Sie relevanten Fragen vor dem Meeting so exakt wie möglich und bringen Sie diese auf die Agenda. So haben die Experten bereits vor dem Advisory Board Meeting Gelegenheit, sich Gedanken zu machen. Das Advisory Board Meeting besteht in der Regel aus Präsentationen und Diskussion. Um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, sollten die Inhalte der Präsentationen mit den jeweiligen Referenten grob abgesprochen und die Zeit auf 10 bis maximal 20 Minuten begrenzt werden. Der Moderator achtet darauf, dass diese Zeiten eingehalten werden. In der Veranstaltung sollte der Diskussionspart unbedingt den Hauptanteil einnehmen, denn es geht nicht um ein Schaulaufen der Referenten. Generell sollten Sie für eine offene Gesprächsatmosphäre sorgen. Je ungeschminkter der Input der Experten, umso mehr profitieren Sie und Ihre Firma davon. Wichtig – auch wenn es banal klingt – ist eine gute Dokumentation. Denn die wertvollsten Gedanken und Schlussfolgerungen verpuffen, wenn sie nicht schriftlich festgehalten werden. Nicht optimal ist die Aufzeichnung des Meetings mit einem Diktiergerät, denn viele Menschen reagieren befangen auf ein solches Mitschneiden und die Qualität der Diskussion leidet. Die ideale Lösung ist ein Medical Writer, der das Meeting protokolliert.
Menschliche Aspekte bei der Zusammenarbeit
Viele ärztliche Meinungsbildner sind starke Persönlichkeiten, die nicht immer ganz leicht im Umgang sind. Oft ist die Zusammenarbeit eine Gratwanderung, die viel Fingerspitzengefühl, Erfahrung und Souveränität erfordert. Generell hilft es ungemein, wenn Sie die Wichtigkeit des Meinungsbildners anerkennen und diesem mit Wertschätzung begegnen. In der Regel wird man nicht erwarten können, dass ärztliche Meinungsbildner exklusiv mit nur einer Firma zusammenarbeiten. Die meisten ärztlichen Meinungsbildner kooperieren mit vielen Unternehmen, um möglichst unabhängig zu sein.
Vertragsgestaltung
Lassen Sie sich auf jeden Fall vor dem Beginn der Zusammenarbeit eine Vertraulichkeitserklärung mit dem klinischen Experten unterzeichnen, um Ihr geistiges Eigentum zu schützen. Bei der Vertragsgestaltung sollten Ärzte und Unternehmen unbedingt vor dem Hintergrund des im Juni 2016 in Kraft getretenen Antikorruptionsgesetztes darauf achten, dass Leistung und Gegenleistung in einem realen Verhältnis zueinander stehen (Äquivalenzprinzip). Neben dem Äquivalenzprinzip müssen auch das Trennungsprinzip (Trennung von Projektzusammenarbeit und Umsatzgeschäften), das Transparenz-/Genehmigungsprinzip (Offenlegung und Genehmigung von Zuwendungen) und das Dokumentationsprinzip (Darstellung aller Leistungen und Gegenleistungen) beachtet werden, dann lässt sich das Strafbarkeitsrisiko erheblich reduzieren.
Fazit: Die Zusammenarbeit mit ärztlichen Meinungsbildnern ist im AMNOG-Prozess von großer Relevanz. Die richtige Auswahl von Experten und die kluge Einbeziehung ihrer Expertise ist in der Nutzenbewertung ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Literatur:
1 Schreier J, Esser M, Umbach G. Advisory Board Meetings und Expertenrunden. Pharma Relations 12(14): 17, 2014
2 Umbach G. Erfolgreich als Medical Advisor und Medical Science Liaison Manager. Wiesbaden 2014